Eine Vielzahl unterschiedlicher Prozesse ermöglicht das Drucken von Kunststoff, Metall, Keramik und mehr. Einer dieser Prozesse ist das selektive Laserschmelzen (engl. Selective Laser Melting), in Kurzform SLM. Bei diesem Prozess wird Metallpulver durch einen Laser Schicht für Schicht verschmolzen, sodass am Schluss das fertig gedruckte 3D-Bauteil aus dem Restpulver entnommen werden kann. Das besondere an der additiven Fertigung ist dabei, dass das Material aus dem das Endprodukt besteht, erst bei der Fertigung entsteht. Aus einem Filamentfaden oder füssigem Kunststoff entsteht ein neuer Türknopf oder eine Armprothese aus festem Kunststoff. Aus Metallpulver entsteht ein Knochenimplantat aus legiertem Titan.
Kapazität
DDie additive Fertigung wird für unterschiedliche Anwendungen eingesetzt, sei es für die Herstellung von Prototypen oder die Fertigung von Pilot- und Kleinserien. Auch in der Serienproduktion gehört die additive Fertigung heute zu den Standardverfahren. Die Luftfahrt-, Automobil- und Medizintechnikbranche fertigen Produkte im grossen Stil. Dabei nutzen
diese Branchen unterschiedliche Vorteile der additiven Fertigung. Ein Punkt, der durch die additive Fertigung andere Ansätze annimmt, ist die Produktentwicklung oder Konstruktion,
auch genannt «Design for Additive Manufacturing». Durch das aufbauende Fertigungsverfahren müssen Designer, Konstrukteurinnen, Konstrukteure sowie Entwicklerinnen und Entwickler die neuen Designregeln verstehen und bereits bei der Konzeptentwicklung beginnen aufbauend zu denken. Überhänge bis 45° können ohne zusätzliche Stützen gedruckt
werden. Bohrungen, die parallel zur Bauplatte gedruckt werden, müssen je nach Design bereits ab Ø 6 mm gestützt werden. Sonst können im oberen Bereich der Bohrung Wölbungen und Fehler auftreten.Dies hat zur Folge, dass je nach Design mehr oder weniger Stützstrukturen notwendig sind, was die Druckzeit massiv bebeeinflussen und die nachfolgende Bearbeitung
erschweren kann. Die neue Freiheit im Design erlaubt die Herstellung komplexer Formen und organischer Strukturen, die mit herkömmlichen Fertigungsverfahren (Formen, Schleifen, Fräsen, Giessen usw.) nicht hergestellt werden können. Die Integration von speziellen Eigenschaften wie Gitterstrukturen, sogenannte «Lattice»-Strukturen, werden in medizinische Implantate integriert, um beispielsweise das Einwachsen des Knochens zu optimieren. Diese Strukturen können durch den 3D-Druck ohne zusätzliche Kosten ganz einfach integriert werden.
Weniger Material bedeutet gleichzeitig reduziertes Gewicht
Durch den schichtweisen Aufau wird nur dort Material aufgebaut, wo es auch wirklich gebraucht wird. Die additiven Designregeln und die Optimierung der Topologie machen es ohne Einbusse bei der Stabilität der Metallteile möglich, mehr Material als bei herkömmlichen Fertigungsverfahren einzusparen. Weniger Material bedeutet gleichzeitig reduziertes Gewicht, was in der Luftfahrt und Automobilbranche eine grosse Rolle spielt. Denn geringeres Gewicht bedeutet weniger Treibstoff.
Weiter ermöglicht die aufbauende Herstellung eine Konsolidierung mehrerer zusammengesetzter Bauteile. Beispielsweise können komplexe chirurgische Instrumente bestehend aus mehreren Teilen somit in einem Stück gedruckt werden. Dadurch reduzieren sich die Produktionsschritte und -kosten, und das Produkt kann verbesserte Eigenschaften aufweisen, wie eine verlängerte Lebensdauer, erhöhte Stabilität und ein reduziertes Gewicht.
Die Medizintechnik als Vorreiter
Bei der sogenannten seriellen Massenanfertigung werden in einem Produktionsauftrag unterschiedliche individuell angepasste Produkte gleichzeitig gedruckt. Besonders die Medizintechnik nutzt diesen Vorteil, indem zum Beispiel mehrere auf den Patienten angepasste Hörgeräte oder Zahnimplantate in einem Auftrag gedruckt werden können.
Das «On Demand Manufacturing» ermöglicht das Herstellen von Produkten erst auf Anfrage von Kunden. In Kombination mit der verkürzten Produktionszeit durch den 3D-Druck, ermöglicht es Herstellern nur gerade so viele Produkte zu fertigen wie vom Kunden zu diesem Zeitpunkt gefragt. Somit können Lager- und Logistikaufwände reduziert werden.
Diese Beispiele zeigen auf, dass die additive Fertigung Raum lässt für die ständige Entwicklung neuer und innovativer Anwendungen. Gleichzeitig gewinnt die Auseinandersetzung mit dem Innovationsspielraum für Hersteller und Zulieferer an Relevanz. Es ist eine Weile her, als die Medizintechnik das Potenzial des 3D-Drucks erkannt hat. Doch immer noch steigt die Bedeutung dieser Technologie für die MedTech-Branche. Ein Hauptgrund dafür ist die Übereinstimmung zwischen den Bedürfnissen der Branche mit den additiven Möglichkeiten. Denn durch eine Vielzahl an Fortschritten hat sich die additive Fertigung zu einer Fertigungstechnologie entwickelt, die für die Herstellung anatomischer Modelle für präoperative Planung, chirurgischer Implantate sowie Instrumente von grossem Nutzen ist.
Besonders für die Entwicklung neuer Implantate beschleunigt der schnelle Prototypenbau den Zeitraum zwischen einem ersten Design und dem Endprodukt. In Innovationszyklen können erste Prototypen innert kürzester Zeit gedruckt und deren Eigenschaften bewertet werden. Danach geht es in einen weiteren Zyklus von Konzeption, Design, Prototypenbau und Evaluation.
Der Standard «one fits all» wird von der additiven Fertigung für gewisse Anwendungen überrollt. Durch additive Fertigung ist es möglich, patientenspezifische Implantate schneller und kostengünstiger als mit traditionellen Fertigungsverfahren herzustellen. Denn für die Fertigung mit additiven Verfahren braucht es keine zusätzliche Beschaffung oder Herstellung von Werkzeugen zur Produktion. Zudem können mehrere individuell angepasste Implantate in einem Fertigungsauftrag hergestellt werden.
Der digitale Workflow sieht folgendermassen aus: Die medizinischen Produk-te werden mit einer CAD Software an die speziellen Eigenschaften der Patientenanatomie passgenau angeglichen, indem mit bildgebenden Verfahren ein digitales 3D-Modell des Patienten erstellt wird. Beispielsweise können so Teile des Kiefers, die bei Krebspatienten entfernt wurden, auf bestmögliche Weise rekonstruiert werden. Eine solche individuelle Anpassung kann die anatomischen Defekte beheben, die Operationszeit minimieren, das Ergebnis verbessern und das Patientenwohlbefinden erhöhen.
AM-Einstieg in die Medizintechnikbranche
Der Einstieg in die additive Fertigung wird zu einem grösseren Bedarf an Aus- und Weiterbildung von Fachkräften führen, da immer noch ein erhebliches Qualifikationsdefizit herrscht. Es sind strukturierte, umfassende Schulungsangebote in allen Bereichen entlang der Produktionskette nötig: Werkstoffkenntnisse, Datenvorbereitung, Betrieb von AF-Maschinen, Nachbearbeitung und Projektmanagement. Doch vor allem braucht es Schulungen im Bereich Produktdesign für die additive Fertigung. Die Art und Weise, wie Produkte entworfen werden, muss völlig neu überdacht werden. Denn die additive Fertigung ermöglicht nahezu völlige Freiheit. Erst dann kann das volle Potenzial der Technologie für neue Innovationen ausgeschöpft werden.
Trotz des vielversprechenden Fortschritts der 3D-Druckverfahren gibt es für Firmen, die in die additive Fertigung einsteigen möchten, viele Bereiche für eine erfolgreiche Anwendung der Technologie zu verstehen. Auch wenn sich das regulatorische Umfeld für additiv gefertigte Produkte in den letzten Jahren weiterentwickelt hat, gibt es für die Medizin-technikbranche betreffend einiger Belange noch Klarheit zu schaffen.
Nicht zu bestreiten ist die Wichtigkeit eines umfassenden Qualitätsmanagementsystems (QMS). Auch in der additi-ven Fertigung lohnt sich ein QMS nach ISO 13485:2016 über alle Prozessschritte. Für die Sicherung der Produktequalität und die Prozessparametrisierung braucht es umfassende Validierungsaktivitäten. Insbesondere in der Fertigung von ortho-pädischen Implantaten, welche in den Körper eingesetzt werden, muss anhand einer Operations- und Leistungsqualifizierung sichergestellt werden, dass die Implantate den Spezifikationen entsprechen und wie vorgesehen gedruckt werden. In der Leistungsqualifizierung wird mit meh-reren Baujobs überprüft, ob die Maschinen effektiv und reproduzierbar operieren. Löcher, Innenkanäle, Überhänge und Oberflächenstrukturen werden dabei ausgetestet und eingehend darauf geprüft, ob nachfolgende Prozesse wie Entpulvern und Reinigen dazu führen, dass keine Pulverrückstände am Implantat haften bleiben. Validierung und Verifizierungsaktivitäten sind der ideale Weg, um höchste Qualität für Medizinprodukte zu garantieren. Die technischen Spezifikationen ISO/ASTM TS 52930:2021 bieten diesbezüglich gute Ansätze für die Qualifikation einer Infrastruktur mit dem SLM-Prozess.
Erste Schritte in Richtung industrielle Anwendung
Kurz zusammengefasst, bedarf die Ein-führung der additiven Fertigung die Be-rücksichtigung folgender Punkte:
- Wählen Sie Produkte für die die Herstellung mit additiver Fertigung sinnvoller ist als mit traditionellen Herstellungsverfahren.
- Klären Sie, welche Fähigkeiten für eine industrielle Anwendung der additiven Fertigung notwendig sind. Informieren Sie sich über regulatorische Rahmen-bedingungen im Bereich additive Fertigung.
- Berücksichtigen Sie die Norm ISO 13485:2016 und die jeweilige ISO/ASTM-Standards für den Qualitätsmanagement- und Prozessaufbau.
- Identifizieren Sie Talente mit Erfahrung im Bereich AF-Konstruktion und Produktion. Bieten Sie Ihren Mitarbeitenden und Lernenden umfassende Aus- und Weiterbildungen in der additiven Fertigung.
Viele KMU wagten den Einstieg in die additive Fertigung bisher nicht, da es an Know-how und Erfahrung fehlt. Dadurch kann das Potenzial der Technologie nicht genügend objektiv und fundiert bewertet werden.
Der Einstieg ist im Grunde nicht kompliziert. Das Technologietransferzentrum «Swiss m4m Center» hat sich zur Aufgabe gemacht, die Anwendung der additiven Fertigung von Metallen für MedTech-Unternehmen zugänglich zu machen. Egal ob es um die Potenzialabklärung für ein Produkt, um die Entwicklung einer konkreten Idee oder um eine erste Prototypenfertigung eines bereits designten Produktes geht. Das Swiss m4m Center berät in allen Anlie-gen rund um den 3D-Druck und bietet nebst Beratungsdienstleistungen Schulungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten an. Als komplette Betriebslösung bietet das Center individuell aufgesetzte Prozesse zur Fertigung medizintech-nischer Produkte mittels additiver Fertigung an. Dabei werden die Experten des Centers zurzeit von über 45 Partnern mit Know-how unter anderem zu Metallpulver, Wärmebehandlung und Reinigung unterstützt. Die Kunden werden gleich mit dem nötigen Fachwissen zum wirtschaftlichen Betrieb und zur Sicherheit des schnellen und qualitativen Produktionsstarts ausgestattet.
Mit einem Qualitätsmanagementsystem nach ISO 13485:2016 und einer An-lehnung an die Norm für die additive Fertigung ISO/ASTM DIS 52920 sichert das Swiss m4m Center die Qualität der 3D-gedruckten Medizinprodukte. Das Center bietet eine optimale Plattform, um erste Schritte in Richtung industrielle Anwendung der Technologie der additiven Fertigung zu gehen.