Dr. Adam Gontarz ist Mitglied der Geschäftsleitung des Schweizer Verbands Swissmem und leitet den Bereich Digitalisierung, Innovation und Technologie (DIT). Der promovierte Maschinenbauingenieur bringt vielseitige Erfahrungen aus der Industrie mit, darunter aus Maschinen-, Fertigungs- und Automobilbranche sowie aus der Gründung eines eigenen Start-ups im Bereich Datenakquise und -Analyse. Seit über zehn Jahren ist er bei Swissmem tätig und verantwortet seit zwei Jahren die strategisch wichtigen Bereiche Digitalisierung, Innovation und Technologie.
Mit seiner Arbeit verfolgt er das Ziel, die Schweizer Tech-Branche in einem dynamischen und komplexen Marktumfeld zu unterstützen und ihre Wettbewerbsfähigkeit durch technische Expertise und innovative Ansätze zu sichern. Im Interview spricht Dr. Gontarz über seinen persönlichen Bezug zur Branche, die Aufgaben und Ziele von Swissmem sowie die Herausforderungen und Chancen, die die Branche in der Schweiz und international erwarten.
Welche Hauptaufgaben verfolgt Swissmem als Verband?
Swissmem ist der grösste Industrieverband der Schweiz und agiert unabhängig, ohne kommerzielle Interessen. Wir verstehen uns als Informationshub – unser Ziel ist es, der Branche Wissen zur Verfügung zu stellen, das aus erster Hand kommt. Das umfasst politische, regulatorische und technische Informationen sowie Einblicke in neue Trends. Wir sammeln diese Informationen, bereiten sie auf, vernetzen mit wichtigen Experten und Entscheidungsträgern und stellen diese Informationen unseren Mitgliedern zur Verfügung, damit sie direkt davon profitieren können. Besonders im Bereich der Digitalisierung spielen wir eine zentrale Rolle: Themen wie Cybersecurity, Künstliche Intelligenz und die digitale Transformation sind aktuell von enormer
Bedeutung für unsere Branche.
Ein Beispiel dafür ist unser Engagement bei der Initiative «Next Industries», die als unsere Antwort in Bezug auf Digitalisierungsthemen steht und als Träger unterstützt. Hier bringen wir mehr als 70 IT-Dienstleister mit unseren über 1400 Mitgliedsfirmen zusammen, um innovative Lösungen und Projekte voranzutreiben.
Wie unterstützt Swissmem seine Mitglieder in der Praxis, z. B. bei regulatorischen oder technologischen Herausforderungen?
Unsere Aktivitäten gliedern sich neben der oben erwähnten Unterstützung in der Digitalisierung weiter in drei Hauptbereiche: Technik, Innovation und Politik.
❱ Technik: Wir bieten Expertise zu regulatorischen und normativen Fragestellungen, wie die Anpassung internationaler Normen an den Schweizer Markt. Technische Unterstützung umfasst auch praxisnahe Lösungen für konkrete Probleme, z. B. bei der Auswahl von Experten und Partnern oder der Interpretation von Regularien.
❱ Innovation: Wir stellen unseren Mitgliedern Wissen, Netzwerke und Methodik zur Verfügung, um Innovationspotenziale zu erschliessen. Dabei geht es auch darum, die richtigen Partner für Projekte zu finden, alle notwendigen Informationen und Werkzeuge bereitzustellen und Rahmenbedingungen zu schaffen.
❱ Politik: Wir setzen uns dafür ein, dass Unternehmen den ziel- und lösungsorientierten Zugang zu Fördermitteln, Märkten und wichtigen Informationen erhalten. Ein Beispiel ist die Unterstützung bei der Anpassung an EURichtlinien, um die Exportfähigkeit unserer Mitglieder sicherzustellen.
Welche Rolle spielt Swissmem bei der Förderung von Innovationen in der Branche?
Innovation ist ein zentraler Bestandteil und für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen essenziell, aber wir definieren sie bewusst breit. Für uns hat Innovation viel mit Mindset zu tun – es geht nicht darum, den Firmen vorzuschreiben, wie sie innovativ sein sollen. Viele unserer Mitglieder haben sich durch kontinuierliche Innovation international einen Namen gemacht und konnten damit ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit beibehalten oder sogar stärken.
Unsere Aufgabe besteht darin, die Rahmenbedingungen für Innovation zu schaffen und bereitzustellen. Wir bieten Wissen, Methodik, Netzwerke und Partnerschaften, damit unsere Mitglieder ihre Ideen validieren und verwirklichen können. Ob es um Fördermöglichkeiten oder die Suche nach den richtigen Partnern geht, Swissmem stellt die notwendigen Werkzeuge bereit, um Innovationen zu ermöglichen. Gleichzeitig unterscheiden wir klar zwischen Technik und Innovation: Nicht alles, was technisch ist, ist automatisch innovativ.
Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Herausforderungen, mit denen die Tech-Industrie aktuell konfrontiert ist?
Technisch gesehen stehen wir auf einem extrem hohen Niveau, und die Möglichkeiten sind so zahlreich wie nie zuvor. Die grösste Herausforderung besteht jedoch darin, diese Möglichkeiten wirtschaftlich umzusetzen. Unsere Branche ist in der Schweiz traditionell stark verankert, mit rund 330 000 Beschäftigten, und trotz der konstanten Präsenz müssen Unternehmen mit geringen Margen arbeiten. Ein falscher wirtschaftlicher Entscheid kann sich gravierend auswirken, weshalb es essenziell ist, Risiken sorgfältig abzuwägen und die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Darüber hinaus wird der Marktimmer komplexer – nicht nur technologisch, sondern auch regulatorisch. Wir haben es mit unterschiedlichen Normen und Standards in verschiedenen Ländern zu tun, die die Entwicklung und Vermarktung von Produkten erheblich beeinflussen. Unternehmen müssen heute genau wissen, welche Märkte sie bedienen wollen und wie sie ihre Produkte entsprechend anpassen.
Wie beeinflussen technologische Entwicklungen und regulatorische Veränderungen die Unternehmen in der Schweiz?
Die zunehmende Komplexität zeigt sich besonders in der Kombination aus technologischen und regulatorischen Anforderungen. Ein Beispiel ist die Regulatorik im Bereich Eco-Design: Hier gibt es teils widersprüchliche Vorgaben – etwa, dass Produkte reparierbar sein sollen, gleichzeitig aber möglichst wenig Material verwendet werden darf. Solche Konflikte machen die Entwicklung neuer Produkte extrem herausfordernd.
Wir beobachten auch, dass einige Unternehmen auf dem europäischen Markt bestimmte Innovationen gar nicht anbieten, weil sie befürchten, dass diese gegen eine Richtlinie verstossen könnten. Diese Überregulierung kann die Wettbewerbsfähigkeit der Branche gefährden und hemmt Innovationen.
Welche Rolle spielen internationale Märkte und Wettbewerber für die Schweizer Industrie?
Die Schweiz ist eine Exportnation, über 80 Prozent der Produkte und Dienstleistungen werden ins Ausland exportiert. Unsere Branche ist stark abhängig von internationalen Märkten und einem freien Handel. Politische Isolation oder eine Abschottung sind für uns keine Optionen.
Europa bleibt unser wichtigster Kernmarkt, und wir sind in allen relevanten Gremien vertreten, um mitzuhören, aber auch aktiv mitzugestalten. Es ist wichtig, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, die es unseren Unternehmen ermöglichen, international konkurrenzfähig zu bleiben. Gleichzeitig beobachten wir kritisch, wo Regulierungen zu weit gehen und die Innovationsfähigkeit gefährden könnten.
Wie unterstützt Swissmem Unternehmen dabei wettbewerbsfähig zu bleiben? Z. B. durch Weiterbildungsprogramme oder Beratung?
Swissmem bietet vielfältige Unterstützung in spezifischen Bereichen (nicht abschliessend):
❱ Digitalisierung: Wir beraten Unternehmen zu Themen wie dem Umgang mit Daten, den Vorgaben des EU Data Act oder dem Digital Product Passport. Dazu bieten wir Schulungen, Seminare und Webinare an.
❱ Exportkontrolle: Im Bereich Dual-Use-Güter bieten wir Schulungen und Expertenwissen, um Unternehmen bei den Anforderungen zu unterstützen.
❱ Nachhaltigkeit: Hier beschäftigen wir uns etwa mit PFAS (fluorhaltigen Stoffen), beraten zu Ersatzstoffen und bieten praktische Factsheets sowie direkte Unterstützung durch unser Netzwerk.
❱ Marktdaten und Prognosen: Wir stellen Statistiken, wirtschaftliche Prognosen, Zolltarifanalysen und Branchenlohnstudien bereit.
Unsere Angebote zielen darauf ab, Unternehmen mit dem notwendigen Wissen und den richtigen Werkzeugen auszustatten, damit sie sowohl technologisch als auch regulatorisch erfolgreich agieren können.
Welche technologischen Innovationen sehen Sie als entscheidend für die Zukunft der Branche?
In der Quantentechnologie sehen wir grosses Potenzial – hier haben wir eine Arbeitsgruppe, die interessierte Firmen beim Einstieg unterstützt.
Die Digitalisierung, allen voran KI, ist ebenfalls ein zentrales Thema, verbunden mit Fragen der Automatisierung, der Robotik und der Nutzung von Sensorik. Diese Bereiche bieten enormes Innovationspotenzial, bringen jedoch auch Herausforderungen mit sich, wie etwa die wirtschaftliche Monetarisierung und die Cybersecurity.
Ein Aspekt, der oft übersehen wird, ist die Bedeutung der Grundlagen unserer Branche, insbesondere des Maschinenbaus. Technologien wie Robotik benötigen solide mechanische Grundlagen – diese Basisarbeit darf nicht vernachlässigt werden. Leider wird dieser Bereich an einigen Hochschulen weniger betont, obwohl er essenziell bleibt.
Wie bewertet Swissmem die Bedeutung von Partnerschaften mit Hochschulen, Forschungsinstituten und anderen Industriezweigen?
Partnerschaften sind absolut zentral. Die technische und regulatorische Welt ist so dynamisch und komplex, dass Einzelkämpfer kaum Schritt halten können. Swissmem versteht sich hier als Brückenbauer.
Wir arbeiten eng mit Hochschulen, Start-ups und Forschungsinstituten zusammen und nutzen dabei u. a. eine detaillierte Hochschulmatrix. Diese zeigt, welche Institutionen in der Schweiz und international in welchen Bereichen aktiv sind und wie sie mit unseren Industriesektoren zusammenarbeiten können. Dasselbe gilt für Start-ups: Wir analysieren, welche Technologien relevant sind und welche Sektoren davon profitieren können.
Auch auf europäischer Ebene sind wir aktiv, z. B. durch Kooperationen mit Dachverbänden wie CECIMO, dem europäischen Werkzeugmaschinenverband, oder durch Partnerschaften mit wichtigen Forschungsstätten.
Welche konkreten Kooperationen gibt es aktuell, und wie profitieren Unternehmen davon?
Ein gutes Beispiel ist die Zusammenarbeit mit Forschungsstätten, die Technologietransfer betreiben. In Projekten mit Partnern wie der ETH Zürich oder dem CSEM (Centre Suisse d'Electronique et de Microtechnique) entstehen praxisnahe Lösungen, die direkt in den Markt überführt werden können.
Ein Problem, das wir jedoch sehen, ist die Lücke zwischen dem technisch Möglichen und dem, was tatsächlich vom Markt benötigt wird. Partnerschaften können hier helfen, diese Diskrepanz zu schliessen. Beispielsweise unterstützen wir Start-ups dabei, ihre Ideen nicht nur technisch, sondern auch marktwirtschaftlich zu validieren, damit sie langfristig erfolgreich sind.
Warum ist Swissmem auf internationalen Messen wie der CES in Las Vegas vertreten?
Unsere Präsenz auf internationalen Messen wie der CES in Las Vegas oder dem Mobile World Congress in Barcelona dient vor allem dem Informationsgewinn. Wir sind kein verkaufsorientierter Verband, sondern sehen unsere Aufgabe darin, Trends und Innovationen zu identifizieren und diese Informationen an unsere Mitglieder weiterzugeben.
Wir führen auf solchen Messen zahlreiche Gespräche – oft 80 bis 100 Interviews – und sind in verschiedenen nationalen und internationalen Gremien aktiv. So können wir die gewonnenen Erkenntnisse validieren und sicherstellen, dass wir auf dem neuesten Stand bleiben.
Ein weiterer wichtiger Grund ist das persönliche Erleben vor Ort. Die Gespräche und Eindrücke, die wir auf solchen Veranstaltungen sammeln, geben uns ein Gefühl dafür, wie der Markt tickt – ob die Stimmung positiv oder angespannt ist, was zwischen den Zeilen mitschwingt. Diese Aspekte lassen sich oft nicht durch Statistiken oder Berichte erfassen.
Wie sehen Sie die Entwicklung der Branche in den nächsten 5–10 Jahren?
Die Herausforderungen in unserer Branche werden nicht verschwinden, und das ist auch gut so – sie halten uns dynamisch und aktiv. Was ich jedoch als Konstante sehe, ist die Stärke der Schweizer Produktionstechnik, insbesondere in Nischenbereichen mit hoher Präzision. Die Rahmenbedingungen, die hier in der Schweiz gegeben sind, das Know-how und die Mentalität unserer Ingenieure – ohne ausschliesslich auf den Profit zu schielen – werden dafür sorgen, dass wir in diesen Bereichen weiterhin führend bleiben. Nachhaltigkeit wird ebenfalls ein wichtiges Element sein.
Welche strategischen Schwerpunkte möchte Swissmem in Zukunft setzen?
Ein Schwerpunkt liegt auf der Positionierung von Swissmem als validem und unabhängigem technischem Partner für unsere Mitglieder. Wir wollen sicherstellen, dass Unternehmen uns nicht nur in politischen Fragen wahrnehmen, sondern auch als wichtigen Partner für die technische Unterstützung. Diese technische Kompetenz möchten wir stärker in den Vordergrund rücken. Das ist ein Ziel, das mir persönlich und unserem gesamten Bereich sehr am Herzen liegt.
Wie können Schweizer Unternehmen trotz steigender Dynamik und Regulierungen weiterhin erfolgreich sein? Müssen die Unternehmen proaktiv handeln?
Ja, absolut. Unsere Unternehmen müssen sich bewegen und proaktiv auf Herausforderungen reagieren. Die Firmen sind in der Lage, die richtigen Entscheidungen zu treffen und das tun sie bereits seit Jahrzehnten. Ich bin überzeugt, dass die Schweizer Industrie gut aufgestellt ist, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Wir unterstützen sie dabei, deshalb blicke ich zuversichtlich in die Zukunft.
Welche Massnahmen könnten aus Ihrer Sicht die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Branche weiter stärken?
Die Innovationskraft ist das Ergebnis einer Kombination verschiedener Faktoren. Bildung und Ausbildung spielen eine Schlüsselrolle – wir brauchen die richtigen Experten, die entsprechenden Informationen und Rahmenbedingungen. Diese müssen politisch, aber auch strukturell geschaffen werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Mindset in den Unternehmen: Es muss Raum geben, Dinge auszuprobieren und auch Fehler machen zu dürfen. Diese Experimentierfreude ist ein wesentlicher Treiber für Innovation.
Wir sehen jedoch, dass die Innovationskraft der Schweiz allmählich abnimmt – obwohl wir nach wie vor in den Rankings vorne stehen. Wir analysieren derzeit, woran das liegt, und setzen alles daran, dieser Entwicklung entgegenzuwirken.